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Channel: Spiegel Online – DER KLIMA-LÜGENDETEKTOR
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Axel Bojanowski: Wissenslücke bei Spiegel Online

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Wir geben zu, wir könnten befangen sein. Denn Spiegel-Online-Redakteur Axel Bojanowski war schon mehrfach Thema hier auf dem Blog. Sein neuer Text befasst sich mit Wissenschaftskommunikation und Umweltjournalismus – genauer: mit den Fehlern der Zunft – und die von Spiegel Online gebastelte Grafik bezichtigt die Kolleginnen und Kollegen unserer Mutter-Website klimaretter.info „aggressiver Umweltagitation“.

Wir könnten also befangen sein. Deshalb versucht der Klima-Lügendetektor diesmal so nüchtern wie möglich zu bleiben. Es geht um diesen Text:

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Thema sind – kurz gesagt – die Unsicherheiten in der Klimaforschung, also Grenzen der Erkenntnis beziehungsweise der Verlässlichkeit von Erkenntnissen. Für die Wissenschaft generell ist das etwas ganz Alltägliches. Es ist geradezu ein Erkennungsmerkmal seriöser (Klima-)Studien, dass sie Unsicherheitsmargen und Konfidenzintervalle angeben. Aber genauso natürlich haben Medien oder Politik ihre Schwierigkeiten, mit diesen Unsicherheiten umzugehen. Wenn man sie wiedergibt, wird der Text spröde, die Politikerrede weniger knallig. Andererseits wird von klimawissenschaftlichen Erkenntnissen oft ein Grad von Verlässlichkeit verlangt, der viel größer ist als in anderen Disziplinen. In der Steuerpolitik beispielsweise werden weitreichende politische Entscheidungen getroffen, ohne dass die beratenden Ökonomen ihre Thesen auch nur annähernd so gründlich belegen müssen wie Klimaforscher. Ups, war das jetzt schon „aggressive Umweltagitation“?

Wir wollten nüchtern bleiben. Die Grundbotschaft des Textes ist (so verstehen wir sie jedenfalls), Klimaforscher würden allzu oft übertreiben. Als Einstieg wählt Bojanowski den Hurrikan Katrina 2005 und dass er von Wissenschaftlern in angeblich übertriebenem Maße auf den Klimawandel zurückgeführt worden sei, „voreilig“ habe etwa der IPCC dies getan.

Im Anschluss schreibt Bojanowski dann, Journalisten würden Erkenntnisse der Forschung oft verzerrt darstellen. Er verweist auf eine Untersuchung englischsprachiger Medien, derzufolge nur ein Siebtel der untersuchten Berichte die wohlüberlegten Abstufungen bei der Verlässlichkeit wiedergegeben hat, mit denen der IPCC seine Aussagen üblicherweise versieht – in der Tat ein spannender Befund.

Dabei zählt Bojanowskis Text selbst zu den mangelhaften sechs Siebteln. Denn just ein paar Zeilen vorher schrieb er über die Wissenschaftskontroverse zum Einfluss der Erderwärmung auf Hurrikane:

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Oh, der Weltklimarat überging die Einwände? Schlagen wir doch schnell mal die entsprechende Passage des 2007er IPCC-Reports nach, die Bojanowski im übrigen selbst verlinkt – also offenbar auch gelesen – hat. In der entsprechenden Tabelle steht dort zu tropischen Zyklonen (zu denen Hurrikans gehören) gleich dreimal das Wort „likely“ – „wahrscheinlich“.

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Genau genommen hat also der IPCC nicht „eine Zunahme“ der Intensität von Hurrikanen „diagnostiziert“, sondern eine wahrscheinliche Zunahme. In anderen Texten könnte man das vielleicht als Lappalie abtun, aber in einem Artikel zu übertriebenen Warnungen der Forschung? Von einem Autor, der just in diesem Artikel eine Studie zitiert, dass Journalisten die Aussagen des IPCC oft zu holzschnittartig wiedergeben?

So zurückhaltend wie möglich formuliert: Was wäre von Bojanowskis Vorwurf an den IPCC geblieben, er sei in Sachen Hurrikanintensität „voreilig“ gewesen, wenn der Artikel korrekt referiert hätte, dass der IPCC von einer „wahrscheinlichen“ Zunahme der Intensität gesprochen hat?

Leider kein Einzelfall journalistischer Sorgfaltspflicht-Verletzung. Zweites Beispiel: Der Konsens unter Klimaforschern über die Hauptursache des Klimawandels (nämlich menschliche Einflüsse) werde übertrieben, schreibt der Spiegel-Online-Redakteur. Der Konsens sei in Wahrheit gar nicht so groß, so Bojanowski, und verweist auf eine „überraschende Umfrage“ unter Klimaforschern.

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Schaut man sich hier die Originalquelle genauer an, stößt man auf Seite 8 der Studie auf dieses Diagramm:

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Bojanowski hat offenbar die drei oberen Zeilen addiert, also jene Antwortenden, die menschliche Treibhausgasemissionen zu mehr als 50 Prozent für den gegenwärtigen Klimawandel verantwortlich machen – das Ergebnis sind 65,9 Prozent. Aber bedeutet dies tatsächlich, dass „gut ein Drittel“ der Forscher „den Anteil menschengemachter Treibhausgase an der Klimaerwärmung als untergeordnet einschätzt“?

Immerhin zehn Prozent der Befragten (drittletzte Zeile des Diagramms) hatten geantwortet, der Anteil sei „unbekannt“. Streng genommen ist dies eine sehr richtige Antwort – denn ganz genau kann die Klimaforschung ja den menschlichen Anteil tatsächlich bis heute (und wahrscheinlich niemals) beziffern. Ebenso korrekt (und Forscher bemühen sich häufig bekanntlich sehr um Korrektheit) ist die Antwort „Weiß ich nicht“ – denn der einzelne Befragte weiß es ja tatsächlich nicht.

Wer aus der Studie den Anteil der Befragten herausfiltern will, die „den Anteil menschengemachter Treibhausgase an der Klimaerwärmung als untergeordnet einschätzen“ – sollte der nicht lieber die Werte für „26–50 %“ und „0–25 %“ addieren? Vielleicht noch die Zeile „weniger als 0 %“ hinzunehmen und „Es gibt keine Erwärmung“? Was wäre dann das Ergebnis? Genau, 12,3 Prozent – nicht „gut ein Drittel“. Andere Studien auf breiterer Basis kommen übrigens zu höheren Konsensraten. Und nebenbei bemerkt: Wie in anderen Studien zeigt sich auch in der von Bojanowski zitierten Untersuchung, dass Forscher mit wenigen Fachveröffentlichungen, die also weniger gut im Stoff stehen, geringe Anteile des Menschen an der Klimaerwärmung annehmen.

Also, weil wir befangen sein könnten und nüchtern bleiben wollen, enthalten wir uns jeder Bewertung. Nur vielleicht dann doch noch dieser Hinweis an den Rechercheur Axel Bojanowski: Das in der Grafik zu seinem Text als Wir Klimaretter bezeichnete Online-Magazin trägt schon seit fünf Jahren den Namen klimaretter.info.

PS: Axel Bojanowskis hat seinen Ursprungstext mittlerweile mit einer Korrektur versehen.

Aber – trotz wiederholter Fehler – nur mit einer.

Danke für den Hinweis an Katrin R. aus Berlin, Hubertus G. aus Sebnitz, Daniela B. aus München, Jens W. aus Toronto und andere

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